Einleben im Ausland: Schwer und doch auch leicht

Neues macht uns immer Angst. Doch der Trick ist, sich nicht davor zu verstecken.

Ganz gleich, ob man nur für einen begrenzten Zeitraum oder „open end“ als neuer Staatsbürger im Ausland ankommt, herrscht immer das Problem vor, dass man sich eingewöhnen muss. Das umfasst nicht nur die typischen Schwierigkeiten, die man schon in Deutschland erlebt, wenn man zwischen zwei Städten umzieht. Nein, im Ausland kommt auch noch hinzu, dass man sich immer auch in eine mehr oder weniger stark unterschiedliche Kultur plus Sprache und dazu noch in eine Vielzahl an Alltagsdetails einleben muss. Das ist zwar viel und kann schwer sein, aber es ist an vielen Stellen auch leichter zu bewältigen, als es anfangs scheint. Sechs wichtige Schritte zeigen wir nun.

1. Weg von Leidensgenossen

Es ist eine zutiefst menschliche Schwäche, sich anderen Menschen zuzuwenden, mit denen einen irgendetwas verbindet. Für deutsche Expats sind das Gruppen oder Einzelpersonen, die ebenfalls ihre Wurzeln in der alten Heimat haben. Wen es beispielsweise nach Australien verschlägt – ein Land, das sehr viele Auslands- oder ehemalige Deutsche beherbergt - der gerät schnell in die Versuchung, sich in örtlichen, Deutschland-zentrierten Kneipen, Vereinen usw. mit Gleichgesinnten zusammenzutun.

Verboten ist das nicht. Allerdings sollte man es a) nicht im ersten Jahr tun und b) erst dann, wenn man sich einen Freundeskreis aus Locals aufgebaut hat. Der Grund dahinter ist ganz einfach: Überspitzt formuliert, man hat dann ja von Anfang an Freunde, kann nach wie vor Deutsch reden, kann deutsche Sitten und Gebräuche pflegen. Das nimmt im schlechtesten Sinn den „Druck“ weg, sich in der neuen Heimat einzuleben, sich anzupassen, zu einem Staatsbürger zu werden – statt eines Deutschen außerhalb Deutschlands. Vor allem Auswanderer sollten diese Regel besonders beherzigen.

In den ersten Monaten sollte man jede Einladung, jeden Unternehmungsvorschlag seines neuen Umfelds annehmen. Umso schneller bekommt man freundschaftliche Wurzeln.

2. Mitmacher sein

Neues Land, neuer Arbeitsplatz, neue Nachbarn, neue Kollegen. In den allermeisten Fällen wird man innerhalb dieser Communities schon deshalb interessant sein, weil man Ausländer ist. Natürlich, irgendwo im ländlichen Missouri wahrscheinlich mehr als in einer kosmopolitischen Großregion wie New York. Aber praktisch immer werden einen die neuen Menschen mit offenen Armen willkommen heißen. Hier eine Einladung zum Abendessen, da zum Bowling. Samstags Vergnügungspark, dienstags Sport gucken in der Kneipe.

Egal um welches Freizeitvergnügen es geht, man sollte immer mit einem „Ja, sehr gerne“ beantworten; dreier Vorteile wegen:

  • Der Kulturschock, der sich immer in Phasen abspielt, wird dadurch so konzentriert, dass er einen regelrecht überwältigt. Tatsächlich ein Vorteil, denn dadurch hat man kaum Zeit, ihn richtig in seinen negativen Seiten zu erfahren.
  • Man bekommt keine Gelegenheit, in Heimwehgedanken abzurutschen.
  • Via die Gastgeber lernt man gleich auch Dritte kennen. Und Einheimische sind die wichtigsten Helfer fürs Einleben.

Übrigens gilt das auch für Dinge, die man normalerweise zuhause nicht gemacht hätte.

3. Sich von seinen Kindern anstecken lassen

Glückliche Expats sind die, die mitsamt ihren Kindern ins Ausland kommen. Denn daraus ergeben sich so viele Möglichkeiten, sich besser und schneller einzuleben.

Der beste Start ist es, so ins Land einzureisen, dass man nicht nur die Wohnungseinrichtung, die Amtsgänge usw. erledigen kann, bevor die Arbeit beginnt, sondern auch gleich eine Rundreise machen kann mit der ganzen Familie. Nein, nicht in die Ferne, sondern ein Urlaub in der neuen Heimat. Natürlich, mit Kids muss man das strategisch so klug planen und durchführen, wie einen „echten“ Urlaub. Aber dadurch, dass der Nachwuchs noch viel begeisterter sein wird, als seine Eltern, kann man sich von dieser Urlaubsstimmung anstecken lassen – nicht nur des positiven ersten Eindrucks von der neuen Heimat, sondern, weil damit auch gleich eine neue Familienerinnerung erschaffen wird.

Und überhaupt sollte man sich ein Beispiel an seinen Kids nehmen. In den meisten Expatfamilien sind sie die ersten, die auch zuhause in der neuen Landessprache reden, die Kultur übernehmen und „echte“ Australier, Amerikaner, Südafrikaner und Co. werden

Kinder ziehen einen durch ihre Energie mit. Erst recht, wenn man die neue Heimat in Form eines Urlaubs kennenlernt.

 

4. Kein Skype, bitte

Früher war sicherlich nicht alles besser, eines aber mit Sicherheit: Wer auswanderte, hatte kaum Möglichkeiten, mit den Daheimgebliebenen in Kontakt zu treten. Das klingt nur für Menschen, die noch nie für lange Zeit im Ausland lebten, wie ein Nachteil. Tatsächlich ist unsere heutige Welt, wo man per Skype, Facetime und Co. jederzeit in Schrift, Wort und Bild in Echtzeit und kostenlos kommunizieren kann, dass viel größere Problem.

Denn je öfter man zuhause anruft, mit den alten Freunden videotelefoniert, desto schwerer fällt einem das Abnabeln, desto stärker wird das Heimweh. Es fühlt sich vielleicht in dem Moment, in dem man auf den Skype-Bildschirm schaut, gut an. Doch die überwältigende Nähe dieser neuen Kommunikationsformen verhindert, dass die Trennungswunde heilt.

Nein, man muss nicht sämtliche Brücken hinter sich abreißen. Aber zumindest im ersten halben Jahr sollte man nur seine allerengsten Daheimgebliebenen (Eltern…) kontaktieren. Und auch diese nur einmal wöchentlich. Alles andere verlängert nur das Einleben.

5. Den Ausländer in sich umarmen

Egal ob man für zwei Jahre für seine Firma ins Ausland geht, oder für immer. Man wird für die Einheimischen immer zu einem gewissen Teil ein Ausländer bleiben. Nicht aus böser Absicht, sondern reiner Tatsache. Man hat die wichtigsten Jahre seiner Sozialisierung in Deutschland erfahren. Hat sämtliche Eigenheiten vom Essen bis zur Verabschiedung aus deutscher Sicht gelernt, man ist deutsch geprägt.

Und egal, wie sehr man sich müht, etwas davon wird immer an einem haften, beim einen mehr, beim anderen weniger. Irgendwann hat man sich vielleicht so angepasst, dass man sich kaum noch unterscheidet – aber je nach Land wird einen schon das Aussehen einfach verraten. Daher bringt es auch gar nichts, sich darüber zu grämen. Viel mehr sollte man seine Wurzeln als positiven Teil seines Selbstverständnisses nutzen.

Großes Vorbild sind hier die USA. Dort wurde von Anbeginn an bis heute die ausländische Herkunft immer als etwas Natürliches erachtet, wurden die Wurzeln in der alten Heimat mit Stolz herausgekehrt, gewisse Dinge gepflegt – oft genug über Generationen. Machen Sie es auch so. Hängen sie während der nächsten WM Schwarz-Rot-Gold auf. Veranstalten Sie eine typisch-deutsche Karnevalsfete – und zeigen so, dass sie den Brückenschlag zwischen alter und neuer Heimat erfolgreich gemacht haben. Das hilft einem selbst am allermeisten.

Ein bisschen Traditionspflege hilft einem nicht nur beim Ankommen, sondern auch der wichtigen Selbstfindung als Neubürger.

 

6. Die neue Sprache sprechen

Wer nicht alleine, sondern mindestens mit Partner ins Ausland geht, ist natürlich enorm stark versucht, zumindest zuhause Deutsch zu reden. Doch um einen Baum wirklich zu verpflanzen, muss man auch seine Wurzeln herausziehen. Das bedeutet: Schneller geht die Eingewöhnung, ja sogar das Selbstverständnis als neuer Südafrikaner (Neuseeländer, Argentinier…) wenn man die Landessprache auch dort spricht, wo man nicht im Kontakt mit Einheimischen ist.

Ganz abgesehen davon, dass man sprachliche Hürden nur dadurch überwindet, dass man die neue Lingua so oft wie möglich verwendet – und zuhause kann man das eben viel sicherer und ohne Angst vor Fehlern, als gleich im "harten Einsatz".

Das kann man ruhig Schritt für Schritt angehen. Vielleicht beginnt man damit, zuhause die Einkaufsliste nur noch in der Landessprache abzufassen, sich morgens vom Partner nur noch wie die Einheimischen zu verabschieden. Das steigert man dann allmählich, bis abends ein „Hey Honey, how was your day?“ so natürlich geworden ist, wie früher „Hey Schatz, wie war dein Tag?“.

Fazit

Einleben wird man sich in jedem Fall automatisch. Doch man hat die Wahl, ob man es schnell und ohne viel Heimweh haben möchte, oder auf die langsame Tour, die teils Jahre andauert und einem keine weiteren Vorteile, dafür aber viele Nachteile beschert. Die meisten Menschen präferieren ersteres. Zumal Einleben niemals bedeutet, dass man seine Wurzeln gänzlich kappt, sondern nur, dass man neue bildet.

 

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