Grenzgänger in Spanien
Leben und Arbeiten im Grenzgebiet Spanien-Gibraltar
Sieben Jahre lang lebte Martin W. in Spanien und pendelte täglich zur Arbeit über die Grenze nach Gibraltar. Im Interview erzählt er uns von seinen Erlebnissen dabei - und verrät, wie es sich anfühlt, als langjähriger Expat in die alte Heimat zurückzukehren.
Sie mussten jeden Tag nach Gibraltar zu Ihrer Arbeitsstelle pendeln. Wieso hatten Sie sich ausgerechnet für diese Konstellation entschieden?
MW: Viele Deutschsprachige leben in der Grenzregion zu Gibraltar. Das Leben in Spanien ist günstig, es gibt schöne Wohnungen für wenig Geld. In Gibraltar verdient man besser als im wirtschaftlich schwachen Spanien. Man muss weniger Steuern zahlen, aber erhält auch weniger Sozialleistungen. Das spanische Netz fängt die Jobber aus Gibraltar auf, da sie in Spanien ihre Wohnsitze haben. Aber das Gesundheitssystem in Spanien ist nicht vergleichbar mit unserem – die Leistungen dort sind wesentlich geringer als das, was man vom deutschen medizinischen Versorgungssystem gewohnt ist. Ohne eine private Krankenversicherung sollte man daher nicht nach Spanien gehen.
Ist es kompliziert, jeden Tag eine Grenze zu überqueren?
MW: Das Pendeln hatte seine Tücken: Jeden Tag über einen Grenzübergang zu gehen, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen, ist nicht jedermanns Sache. Am besten passiert man die Grenze zu Fuß und nimmt dann den Bus. Denn mit dem Auto oder einem Motorrad ist das ein blanker Horror: Wartezeiten bis zu sechs Stunden sind an der Grenze an der Tagesordnung. Ich habe daher jeden Morgen in Spanien geparkt und bin dann zu Fuß über die Grenze marschiert. Dort sind Riesenparkplätze entstanden und somit neue Arbeitsplätze, da die Plätze bewacht werden müssen. Ich fand das Grenzgängertum spannend und eine gute Erfahrung.
Spanische Gelassenheit und deutsche Bürokratie
Welche kulturellen Unterschiede sind Ihnen im Alltag zwischen Spaniern und Deutschen besonders aufgefallen?
MW: Die spanischen Behörden machen viel weniger Druck, sind relaxter und freundlicher im Umgang. Ich musste mich zwischenzeitlich in Spanien als Arbeitssuchender melden. Anders als in Deutschland ist die Unterstützung nicht an Fortbildungsmaßnahmen gekoppelt. In den spanischen Jobcentern genügt es, sich ein Mal in drei Monaten zu zeigen und man erhält sein Geld.
Verhalten sich die Spanier generell relaxter? Ticken die Uhren anders in Spanien?
MW: Wenn der Klempner sagt, er kommt um vier Uhr nachmittags, kann es durchaus mal 22 Uhr abends werden. Die Spanier leben mehr im Heute als die Deutschen, das bringt Vor- und Nachteile. So planen die Spanier weniger als die Deutschen. Der Deutsche weiß oft ein Jahr im Voraus, wo er seinen Urlaub verbringen wird.
Man muss Spanien aber vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise betrachten. Durch die Krise lässt die große Unzufriedenheit in Spanien wenig Raum für langfristige Pläne. Auf die Arbeitslosigkeit folgten Desillusionierung und politische Unruhen. Ein Beamter in der Grenzregion La Linea, wo ich morgens hinpendelte, hatte zehn Monate kein Gehalt mehr gesehen. Das ist in Deutschland undenkbar.
Und wirkte sich das auf das Miteinander aus? Wie fühlte sich für Sie das Leben unter Spaniern an?
MW: Trotz der wirtschaftlichen Nöte sind die Spanier ein prinzipiell geselligeres Völkchen als die Deutschen. Das Leben in Spanien findet auf öffentlichen Plätzen statt. Es herrscht ein größeres Miteinander auf den Straßen, in Cafés. Man begegnet und unterhält sich viel mehr mit Fremden. In Spanien herrscht mehr Kommunikation und Leben miteinander. Hier in Deutschland ist jeder für sich.
Trotzdem fühlte ich mich nach sieben Jahren nicht richtig in der spanischen Gesellschaft integriert.
Können Sie das erläutern?
MW: In Andalusien gibt es wegen des Tourismus eine hohe Fluktuation von Ausländern. So sehen Spanier Fremde in erster Linie als Touristen an. Ich traf mich eher mit anderen Nordeuropäern, die dort wie ich als Expats lebten und arbeiteten. Besser integriert waren diejenigen, die in einer Beziehung mit einer Spanierin lebten oder in eine spanische Familie eingeheiratet hatten.
Durch die schlechte politische Lage ist die Neugierde der Spanier auf fremde Kulturen gesunken, man versucht nur noch zu überleben. So werden Ausländer mehr als Konkurrenz betrachtet denn als kultureller Zugewinn.
Sind Sie deswegen nach Deutschland zurückgekehrt oder gab es andere Gründe?
MW: Neben privaten Gründen empfand ich am Ende meines Spanien-Aufenthaltes die Unzufriedenheit aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage der Spanier als beängstigend. Als Deutscher war ich weder politische Unruhen noch solche Unzufriedenheitsäußerungen einer Bevölkerung gewöhnt. So war ich auf der einen Seite froh, im geregelten Deutschland zu sein, bekam auf der anderen Seite aber meine Probleme, mich damit zurechtzufinden. Mit den typisch deutschen Regelungen fühlt man sich schnell wie in einem Hamsterrad.
Kulturschock: Rückkehr nach Deutschland
Wie war es für Sie, nach sieben Jahren zurückzukehren?
MW: In Deutschland angekommen erlitt ich tatsächlich eine Art Kulturschock. Man vergisst allmählich, wie das Leben in der alten Heimat verläuft. Man sollte das Klima niemals unterschätzen. Das ist eine wahnsinnige Umstellung. Selbstverständlich wusste ich, dass die Temperaturen in Deutschland um einiges kühler sind, dennoch war ich auf den extremen Klimawechsel nicht vorbereitet. Dass in Deutschland ein so langer und kalter Winter herrscht, war mir gar nicht mehr bewusst.
Besonders belastend gestaltete sich die Wohnungssuche in Deutschland. Es empfiehlt sich auf alle Fälle, bereits vor der Rückkehr eine Wohnung in Deutschland zu suchen. Die Wohnungssuche hat mich viel Zeit und Nerven gekostet: Eine bezahlbare und geeignete Wohnung in der Nähe meines neuen Arbeitsplatzes zu finden, war im Vergleich zu Spanien sehr schwer.
Wie vollzieht sich die Rückmeldung bei den Behörden in Deutschland?
MW: Bei der Anmeldung in Deutschland fragten die Beamten mich als erstes nach meiner Religionszugehörigkeit. Was ich sieben Jahre im Ausland gemacht hatte, wollten sie wissen. Es kam mir wie ein Verhör vor und ich bekam allmählich das Gefühl, mich dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich weggegangen bin.
Es scheint, dass da die Bürokratie über das diplomatische Geschick des bearbeitenden Beamten siegte. Wer in Deutschland lebt und Kontakt mit Behörden hat, ist an solche Erlebnisse gewöhnt. Ist Ihnen die deutsche Mentalität während Ihrer Zeit in Spanien fremd geworden?
Manche Dinge fallen mir jetzt stärker auf als vorher. Als ersten Brief erhielt ich zum Beispiel ein Schreiben der Rentenkasse. Hier musste ich akribisch ein zehnseitiges Formular ausfüllen, in welcher Funktion ich bei welchen Arbeitgebern während der sieben Jahre langen Abwesenheit gearbeitet habe. Und im Anschreiben stand kein "Willkommen zurück in Deutschland", sondern nur die Androhung, dass bei Nichtausfüllen ein Bußgeld droht.
Dabei fällt es als EU-Bürger und Expat mit deutscher Staatsangehörigkeit rechtlich nicht weiter schwer, sich zurückzumelden. Man benötigt nur eine Meldeadresse und gegebenenfalls den Mietvertrag der eigenen Wohnung.
Wie haben Sie sich das Leben zurück in Deutschland eingerichtet? Haben Sie inzwischen wieder das Gefühl, hier zu Hause zu sein?
MW: Ich lebe mich gerade wieder ein. Was mir richtig gut gefällt und gut tut, ist die Nähe zu meiner Familie. Und ich konnte meine Heimatstadt Essen neu entdecken: Dort hat sich in sieben Jahren deutscher Betriebsamkeit einiges städtebaulich verändert. Und kulturell geschieht hier viel mehr als in meinem kleinen andalusischen Grenzort. Das genieße ich sehr.