Deine Grenzen liegen weiter weg als Du denkst
Ausgewanderte Personen:
Sandra, 31 Jahre zum Zeitpunkt der Auswanderung
Beruf: Controllerin
Wohin:
Dublin / Irland
Wann: 2004
Warum sind Sie ausgewandert?
2003 ging die Wirtschaftskrise in Deutschland los. Ich war damals in der Baubranche beschäftigt, die schnell die Krise zu spüren bekam. Entlassungen waren schnell eine Folge dessen. Dann war klar: last in – first out.
Ich habe diese Entscheidung auszuwandern, nicht gleich am Anfang getroffen. Ich hab mich anfangs nicht getraut, diesen Schritt gehen. Obwohl ich schon immer neugierig war, wie diese Erfahrung für mich aussehen könnte.
Mein Bruder hatte ein Auslandssemester in Irland absolviert. Mein Vater und ich haben ihn dort besucht und mit Mietwagen und B&B das Land erkundet. So habe ich das Land kennen gelernt. Als eine Freundin diesen Schritt gewagt hat, ist bei der Knoten geplatzt. Ich war so überzeugt, dieses Abenteuer zu erleben, dass mich nichts und niemand nun mehr davon abgebracht hat.
Was waren die größten Hürden/Schwierigkeiten/Überraschungen bei der Auswanderung?
Ich bin allein ausgewandert, also ohne Partner. Ich hatte keinen Job. Ich kannte niemanden. Als mein Flieger im Landeanflug war, kamen Gedanken wie „hier wartet keiner auf Dich“. Eigentlich lief aber alles recht gut. So dass ich keine größeren Hürden hatte. Ich bin auch nicht mit meinem ganzen Hausstand ausgewandert. Das würde ich auch niemandem empfehlen. Nun muss man auch sagen, Irland ist nicht so weit entfernt von Deutschland. Also im worst case hätte ich einfach zurück fliegen können.
Wie hat es mit der Jobsuche geklappt und was sind die größten Unterschiede zu Deutschland?
Irland erlebte seinen „Celtic Tiger“. Schnelles Wirtschaftswachstum angetrieben durch viele US-Unternehmen, die ihr European Headquarter in Irland hatten. Soweit ich weiß, gab es keine Unternehmenssteuer und genügend bi-linguale Arbeitskräfte., die den Standort für diese Unternehmen attraktiv machte.
Ich hatte mich bei einigen Recruitment Agencies vorgestellt. Den 1. Job hab ich durch meinen Mitbewohner bekommen. Die Bewerbungsprozesse sind prinzipiell anders als in Deutschland. Das fängt mit den Unterlagen an. Ein Anschreiben und Lebenslauf genügt. Es gibt keine Arbeitszeugnisse. Gängig sind Empfehlungen. Das kann der alte Arbeitgeber sein, aber auch alte Kollegen, die bestätigen, dass man ein guter, vertrauensvoller Mitarbeiter / Kollege ist.
Ich hatte natürlich keine Referenzen, weil ich es nicht wusste. Das Bewerbungsgespräch an sich hat eher was von Kaffeekränzchen. Ist nicht so steif wie in Deutschland. Es geht auch nicht darum, was man alles kann und das dann zu überzeichnen. Welche Ziele man hat. Es geht vielmehr darum, wer man ist und wie man mit Hürden umgeht. In Deutschland hatte ich immer das Gefühl, es wird danach gesucht, was man nicht kann. Das war in Irland anders. Wenn man etwas nicht so gut kann, hat der Interviewer eigentlich nur kurz abgecheckt, ob man sich da verbessern kann, es lernen kann. Zum Beispiel die Sprache. Die lernt man schnell. Und ganz bestimmt, wenn man in dem Land lebt. Also kein Manko.
Wichtig zu wissen ist, wenn man nach Irland kommt, ohne dass ein Arbeitgeber einen versendet, muss man erst mal die typischen „Ausländerjobs“ annehmen. Heißt also, obwohl ich mit meinem BWL-Studium gut qualifiziert war, habe ich erst einmal eine Customer Support Job angenommen.
Das war auch bei den Agencies der Tenor. Der gute Ratschlag, den man mir mitgegeben hat. Man will natürlich sicher gehen, dass derjenige nicht nach 2 Monaten mit Heimweh wieder abreist. Im 2. Bewerbungsprozess sah das für mich schon ganz anders aus. So konnte ich mein Gehalt leicht verdoppeln und als Financial Analyst durchstarten. Sprachkenntnisse mittlerweile so verbessert, dass ich nicht mal für den deutschen Markt eingestellt wurde.
Was war das schönste/lustigste Ereignis seit der Auswanderung?
Man kommt direkt in Kontakt mit den Menschen. Der Ire ist da völlig unkompliziert. Aber manchmal auch oberflächlich.
Lustig fand ich, als ich einen Kollegen gefragt habe, warum er Manchester United Fan ist, wo die Iren doch die Engländer nicht so mögen. „Sandra, das ist Fußball. Das verstehst Du nicht.“
Wenn man mit dem Taxi nach Hause fährt, macht es nicht viel Sinn die Straße zu nennen. Mehr Sinn macht es, das Pub in der unmittelbaren Nähe zu nennen (jedenfalls in Dublin so). Kennt jeder Taxifahrer.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Ihrem Auswanderland?
Gelassenheit und Zeitgefühl. Wenn man nach den Weg fragt und es ist ein 5-Minutes-Walk, kann es durchaus sein, dass man nach 15 Minuten noch immer nicht am Ziel ist.
Als ich ging, bahnte sich schon das Ende des Celtic Tiger an. Irland erhob nun Unternehmenssteuer oder es stand an. Viele der US-Firmen sind daraufhin in den Osten abgewandert oder haben Teile dorthin ausgelagert. Ein Kollege war sehr entspannt „Wir waren immer arm und haben uns wieder hochgerappelt. Das wird jetzt nicht anders sein.“ Bis zum EU-Beitritt war Irland das Armenhaus Europas. Diese Überlebensgene stecken immer noch drin.
Das Wetter ist nicht einfach mit der Zeit zu nehmen. Es gibt keinen richtigen Sommer, keinen richtigen Winter, dafür „4seasons in a day“. Also immer Sonnenbrille und Regenschirm in der Tasche haben. Aber diese immer gleiche trübe Suppe zermürbt mit der Zeit.
Was haben Sie am meisten vermisst an Deutschland? Was haben Sie gegen Heimweh gemacht?
Heimweh hatte ich eigentlich keins. Es war aufregend. Ich habe viele Menschen aus den verschiedensten Ländern kennengelernt. Ich hab mich kennen gelernt. Ich hab das deutsche Brot und Essen vermisst.
Die Gesundheitsversorgung ist katastrophal. Außer eine Grippe war ich gesund. Bei dieser Grippe musste ich zum Arzt. Himmel!
Die Wohnsituation war extrem. Mieten teuer und Wohnungen trotzdem bei weitem unter dem Standard von Deutschland. Im Winter hatte ich durchaus des Öfteren Eisblumen am Fenster – von innen.
Warum sind Sie zurückgekommen?
Es gab mehrere Gründe. Ich hatte beruflich meinen Zenit erreicht. Hätte ich weiter kommen wollen, hätte ich einen irischen Abschluss gebraucht. Das wollte ich nicht mehr.
Wie schon erwähnt, medizinische Versorgung und die Wohnsituationen waren irgendwann für mich nicht mehr tragbar. Irgendwie hielt mich auch nichts mehr. Als wenn ein Kapitel geschlossen wurde.
Können Sie sich vorstellen nochmal auszuwandern?
Ja. Nach so langer Zeit ertappe ich mich immer wieder bei diesem Gedanken. Sicher sind die Voraussetzungen diesmal andere (Alter, Beruf, Partnerschaft, …) Konkrete Pläne gibt es noch nicht.
Ihr Ratschlag für zukünftige Auswanderer:
Andere Länder andere Sitten. Drauf einlassen und auch leben. Eigentlich ist die Formel ganz einfach: Man ist Ausländer. Also hat man sich auch so zu benehmen. Arroganz, Überheblichkeit „Wir machen das Deutschland so und so“ ganz schlecht. Will ich in Deutschland ehrlich gesagt auch nicht von einem Ausländer hören. Da kommt schnell der Satz „Wenn das alles so toll ist, geh doch zurück“.
In Irland ist es üblich, dass die Wohnungen oder Zimmer möbliert vermietet werden. Der Hausstand muss also nicht mit. Der Flug ist nicht lang, Irland nicht auf einem anderen Kontinent. Ich würde erst mit Arbeitsvertrag eine Familie mit rüber holen. Weiterer Vorteil: man kennt sich ein wenig aus und hat Kontakte. Das kann z.B. bei einer Suche nach einer größeren Bleibe sehr von Vorteil sein.