Island zum Auswandern: Der große Selbst-Test

Als Urlaubsland ist Island bei den Deutschen nicht zuletzt wegen solcher Anblicke hochbeliebt. Doch taugt man als Island-Freund dort auch als Neubürger? stock.adobe.com / Feel good studio

Island hat sich in den vergangenen Jahren von einer Insel im Nordatlantik zu einem der beliebtesten deutschen Urlaubsziele gemausert, das auch immer häufiger in den Fokus von Auswanderern gerät. Doch so schön die Insel auch ist, sie ist durch Lage, Landschaft, Einwohner und viele weitere Faktoren definitiv nichts für jeden Typ Auswanderer.

Im Folgenden haben wir deshalb einen simplen Test erstellt: Je öfter man die Aussagen, die in den jeweiligen Punkten getätigt werden, mit einem „Ja“ beantworten kann, desto eher kann man von sich behaupten Island-tauglich zu sein.

1. Auswanderungsland ohne Traumwetter

Islands Wetter kann nicht weniger imposant sein wie die Landschaft. Doch sollte man mit den schnellen Wechseln zurechtkommen können stock.adobe.com / Gabi Gaasenbeek

Island liegt – grob – zwischen dem 64. und 66. nördlichen Breitengrad, kurz unterhalb des nördlichen Polarkreises. Damit ist es in guter Gesellschaft mit der Bering-Straße, Nord-Alaska oder Nordfinnland. Zum Vergleich: Der südliche Polarkreis liegt eng um das antarktische Festland.

Rechnet man dann noch die Lage mitten im Nordatlantik hinzu, ergibt sich zwar kein Dauer-Frostwetter, aber zumindest ein ziemlich unbeständiges Klima, das binnen eines Tages gleich mehrere Jahreszeiten darstellen kann – und das mit dem deutschen Wetter wenige Überschneidungen hat. Zudem ein Wetter, das vergleichsweise geringe Unterschiede im Jahresverlauf sieht. Ein deutliches Zeichen der Diskrepanz zwischen der nördlichen Lage und dem direkt vor Island vorbeifließenden Nord-Teil des warmen Golfstromes.

Allerdings: Im Atlantik selbst wird man auch an warmen Tagen trotz Golfstrom nicht ohne Neopren-Dress baden können. Selbst an der Südküste werden im Sommer selten mehr als 10°C erreicht.

2. Wenige Sonnenstunden

Abermals weisen wir auf Islands nördliche Lage hin. Zwischen Mitte Mai und -Juli gibt es schlicht und ergreifend dort keine Nacht nach deutschem Verständnis, weil die Sonne niemals ganz verschwindet. Selbst in der südlichen Inselhälfte gibt es höchstens eine helle Dämmerung.

Und auch wenn es im Winter nicht tagelang „schwarz“ ist, muss man doch bedenken, dass es eben nur eine Handvoll Stunden mit echtem Tageslicht gibt. Wenn das mit einer dicken Bewölkungsperiode zusammenfällt, sieht man tatsächlich tagelang kaum Licht.

Nein, das ist längst nicht so drastisch, wie es manchmal kolportiert wird. Aber es unterscheidet sich dramatisch von dem, was man als Mitteleuropäer kennt – auch wenn man spätestens von seinen isländischen Nachbarn lernen wird, wie man damit umgehen kann.

3.  Freizeitgestaltung in der Natur

Island ist ein überreichliches Outdoor-Füllhorn. Einen kleinen Hang zu dieser Freizeitbeschäftigung sollte jeder mitbringen. stock.adobe.com / vitliymateha

Was machen die Isländer, wenn sie sich nicht mit klassisch-urbanen Freizeitaktivitäten vergnügen? Ganz genau, sie tun das, weswegen auch viele Touristen hierherkommen: Sie genießen die herbe Schönheit der Landschaft, den im Vergleich zur menschlichen Besiedlung enormen Anteil an unberührter Natur.

Island ist ein Abenteuerland für alle, die in ihrer Freizeit weniger auf Kunst & Konzerte, sondern auf Lagerfeuer und Schlafsack stehen. Touren durch das atemberaubende Hochland der Insel mit dem (geländegängigen) Campingmobil, eine Wanderung ins Umland des eigenen Wohnorts, eine lange Mountainbike-Expedition mit dem Zelt auf dem Rücken. Das ist es, wovon man in seiner isländischen Freizeit überreichlich bekommt.

Dabei sollte man die Größe der isländischen Städte niemals vergessen: Mit seinen knapp 130.000 Einwohnern ist Reykjavik die mit Abstand größte Kommune. Schön die nächste, Kopavogur, kommt nur auf 37.000 Menschen. Und insgesamt gibt es nur fünf Gemeinden mit mehr als vierstelliger Einwohnerzahl. Da gibt es vielfach kein überreichliches Alternativ-Freizeitangebot.

4. Gleichberechtigung

Die meisten Deutschen würden von sich behaupten, pro Gleichberechtigung zu sein. Allerdings sollten auch progressive Charaktere nicht glauben, nichts mehr dazulernen zu können. Denn obwohl Island das am dünnsten besiedelte EU-Mitglied ist und es auf reichlich weniger Einwohner als etwa Bremen bringt, ist das Land Gleichberechtigungs-Weltspitze.

Das liegt einerseits daran, dass Island sehr umfangreiche Gesetze erlassen hat. Zum anderen daran, dass hier aus historischen Gründen eine viel tiefergehende positive Grundeinstellung zur Gleichberechtigung vorhanden ist. Einfach formuliert: In dieser rauen Welt konnte man es sich schlicht niemals leisten, jemand wegen eines Geschlechts abzuwerten.   

Nicht wenige Europäer, die hierherkamen, waren überrascht, dass die Gleichberechtigungs-Denkmuster, die sie verinnerlicht hatten, noch längst nicht „isländisch-gleichberechtigt“ waren.

5. Lange Autofahrten für kurze Strecken

Manches, was die Isländer als Straße oder Flussübgergang definieren, lässt einen als Mitteleuropäer schlucken. Das gilt auch für die Fahrtdistanzen. stock.adobe.com / pyty

Islands Städte sind zu einem großen Teil um das Festland verteilt. Und die Straßen, die sie wie eine Perlenkette verbinden, sind meist auch die einzigen befestigten. Dazwischen und im Landesinneren gibt es viele (alternativlose) Strecken, die nur geschottert sind – wenn überhaupt. Statt Brücken gibt es auch oft nur Furten. Daraus resultieren einige Punkte:

  1. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass ein Auto für die allermeisten Lebensmodelle notwendig ist. Selbst wenn man Arbeit und Wohnort per Bus erreicht, muss das für Freunde, Freizeitaktivitäten usw. längst nicht gelten.
  2. Der beste Privat-PKW ist ein Fahrzeug mit Bodenfreiheit und Allradantrieb. Abermals wird der Tag kommen, an dem man geteerte Straßen verlassen muss.
  3. Die Straßenführung erfolgt hier weniger dem technisch möglichen Weg, sondern dem, was die Landschaft vorgibt. Denkt man beispielsweise an die Fjorde im Westen und Norden, werden so Distanzen, die Luftlinie nur wenige Kilometer betragen, hinterm Steuer sehr viel ausgedehnter. Ein Beispiel: Von Holmavik nach Hafnarholmur sind es Luftlinie gerade 5,6 Kilometer. Mit dem Auto werden daraus 25,8.

Daran wird sich auch in Zukunft nur wenig ändern. Island pusht zwar E- und andere alternative Antriebe, aber im Kern bleiben diese Tatsachen bestehen.

6.  Ruhe und Einsamkeit

Warum leben knappe 60 Prozent der isländischen Bevölkerung im Großraum Reykjavik? Ja, auch weil es hier das größte Angebot an Jobs und Wohnraum gibt. Aber auch, weil selbst viele Isländer nicht in der Ruhe leben möchten, die der große Rest des Landes mit sich bringt.

Wer in einem der Städtchen außerhalb lebt (wir erinnern an die vielen vier- und dreistelligen Einwohnerzahlen), ist nur von wenigen Menschen umgeben, wird die meisten von ihnen schnell kennengelernt haben. Ein sehr intensiver nachbarschaftlicher Zusammenhalt ist damit garantiert. Aber ringsherum findet sich über viele Kilometer nur die raue Schönheit der Insel.

Selbst Reykjavik ist ob seiner vergleichsweise geringen Größe nicht wirklich als quirlig zu bezeichnen - vor allem, wenn man andere europäische Städte als Maßstab anlegt. Das bedingt, dass die Menschen, ja das ganze Leben hier im Vergleich zu uns einen Gang runtergeschaltet haben. Wer selbst aus ländlichen deutschen Gebieten kommt (und es mag), wird keine Anpassung benötigen. Ein deutscher Stadtbewohner indes wird sich aktiv darauf einlassen müssen, dass die Uhren hier gemächlicher ticken und man statt dauerndem Zivilisationsrauschen nachts auch mal nur die Natur hören wird.

7. Leben in der Gemeinschaft

Nicht nur in Islands kleinen Gemeinden hilft jeder jedem. Generell herrscht ein viel größerer Zusammenhalt – den man gewillt sein muss, mitzutragen. stock.adobe.com / Doin Oakenhelm

Islands Bevölkerung lebt seit Jahrhunderten in der Gewissheit, sich aufeinander verlassen zu müssen im Angesicht der rauen Natur. Vieles wurde durch neuzeitliche Technik zwar gezähmt. Was aber blieb, ist der ungewöhnlich enge Zusammenhalt der Menschen untereinander. Abgesehen vom Kollegenkreis verbringen viele Isländer die meiste Zeit mit Menschen ihrer Familie oder solchen Personen, die sie seit der Kindheit kennen.

Schon in unserem Expat-Bericht wurde angemerkt, wie schwer es sich für Einwanderer in diesem Land anfühlen kann, sich wirklich dazugehörig zu fühlen. Keinesfalls darf man erwarten, in derartig enge Gesellschaften aufgenommen zu werden, bloß weil man neu ist.  

Man muss sich also gewahr sein, dass man selbst eine starke Bringschuld haben wird, um als Isländer unter Isländern zu gelten. Vornehmlich gehört dazu:

  • Zugehen auf die Leute. Wer Kontakte knüpfen will, muss bereit sein, die ersten Schritte zu machen und sich vorzustellen. Ein gewisser Grad an Extrovertiertheit ist dazu unabdingbar.
  • Die Landessprache lernen. Englisch wird zwar von praktisch allen gesprochen, aber nur Isländisch ist wirklich akzeptiert. Das liegt auch daran, dass es eine vergleichsweise schwer zu erlernende Sprache ist. Selbst wenn es mit der Aussprache hapert, zollen doch die meisten Inselbewohner schon dem Versuch Respekt, diese Hürde auf sich zu nehmen.
  • Mitmachen. Egal ob der Nachbar Holz hackt, ob der Kollege die Wohnung wechselt oder es in der Dorf-Community etwas zu tun gibt. Isländer zu sein lebt vom Mitmachen und dem Einbringen in die Gemeinschaft. Alles andere gilt als eigenbrötlerisch.

Zusammengefasst

Island hat seinen derzeitigen Ruf als Urlaubsziel nicht von ungefähr. Allerdings sollte man gerade deshalb nicht den Fehler begehen, nach nur einem Trip Auswanderungsgedanken zu hegen. Ganz besonders gilt das, wenn man Island zwar im Urlaub sehr mochte, aber in diesem Artikel häufig mit „Nein“ antworten musste. In jedem Fall sollte man sich die Mühe machen, das Land mehrfach zu erkunden, bevor man die durch die EU-Freizügigkeit garantierte Freiheit annimmt. Zumindest weiß man dann sehr genau, was einen jenseits der herb-schönen Landschaft erwartet.