Nur mal kurz nach Neuseeland

Rita B. hat Deutschland 2003 eigentlich nur den Rücken gekehrt, weil sie mit ihrem Fachwissen von ihrem damaligen deutschen Arbeitgeber vor Ort gebraucht wurde. Aus dem geplanten einen Jahr sind fast 15 geworden, sie hat die doppelte Staatsbürgerschaft und ihr gesamtes Leben umgekrempelt. Hier ihr Bericht:

Ausgewandert bin ich im August 2003 und sollte eigentlich nur ein Jahr bleiben. Mein damaliger Arbeitgeber war ein Reiseveranstalter für Spezialreisen nach Neuseeland, Australien und in die Pazifikregion. Als unser Mitarbeiter für Inboundbuchungen in Neuseeland in Rente gehen wollte, war übergangsweise eine Fachkraft vor Ort gefragt. Während dieser Zeit ging die deutsche Firma insolvent, aber meine Chefin in Neuseeland mochte mich und meine Arbeit. So konnte ich vor Ort bleiben.

Meine Chefin half mir mit der ersten Verlängerung des Arbeitsvisums und dann auch mit der Beantragung der permanenten Aufenthaltsgenehmigung. Damals gab es diese noch auf unbegrenzte Dauer – heute muss man wohl 3 Jahre Probezeit durchstehen.

2006 wurde meine Chefin schwer krank, verstarb Ende des Jahres und ich war zudem aufgrund eines Unfalls mehrere Monate arbeitsunfähig. Das machte mir klar, dass das Leben zu kurz ist, um von 8 bis 5 in einem Büro zu sitzen.

Während meiner Genesungszeit habe ich einen Abendkurs für Maori Flechtarbeiten und Te Reo Maori besucht (mein Mann ist Maori). Ich fand Gefallen daran und hatte das Glück, auch bei der richtigen Ausbildung angenommen worden zu sein. Als Nicht-Maori ist es normalerweise nicht so gern gesehen und man muss beweisen, dass man ein echtes Interesse an der alten Kunst hat. Ende des Jahres war mein gesamtes Erspartes aufgezehrt, dafür war ich dann im Besitz eines Zertifikats in Traditionellem und Modernem Maori Flechten. Der Grundstock für meine Selbständigkeit war gelegt (http://www.flaxworx.co.nz/). In den ersten Jahren war es finanziell immer recht knapp aber nun kann ich von der Kunst sehr gut leben.

Doppelte Staatsbürgerschaft

Diese Arbeit war auch der Grund, warum ich mithilfe der Beibehaltungsgenehmigung die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen habe. Man muss bei der Beantragung nachweisen, dass man ohne die neue Staatsbürgerschaft benachteiligt ist. Das ist in Neuseeland aber gar nicht so einfach, da man auch als Permanent Resident wählen darf, Eigentum kaufen kann und viele weitere Rechte hat. Ich habe diesen Nachweis dadurch geführt, dass damals diverse Stipendien in der Kunstwelt angeboten wurden, die es nur für Bürger des Commenwealth oder NZ Citizens gab. Das wurde von den deutschen Behörden akzeptiert.
Auf der anderen Seite musste ich die weiterhin bestehende Bindung zu Deutschland nachweisen. Da ich damals noch sehr viele Verwandte ersten und zweiten Grades in der Bundesrepublik hatte und ich gegebenenfalls in der Zukunft wieder zurückkommen müsste, um mich eventuell um meine Eltern zu kümmern, wurden auch diese Gründe anerkannt.

Final bekam ich dann einen Brief von der Botschaft in Wellington, in dem man mir sagte, dass eine Entscheidung getroffen wurde. Für die eigentliche Antwort musste ich aber persönlich zur Botschaft fliegen und der Brief wurde in meinem Beisein geöffnet. Die Mitarbeiterin dort meinte, ich wäre die Erste in Neuseeland, bei der das genehmigt wurde.

Es hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt und vereinfacht mir vor allem das Reisen, aber auch die medizinische Versorgung. Auch wenn das Ganze recht teuer und zeitaufwändig war: Viel Papierkram und Übersetzungen, zudem die originale Geburtsurkunde und Nachweise von Verwandten in Deutschland.

Neue Heimat gefunden

Generell kann ich sagen ich hab hier meine Heimat gefunden. Gegenüber Deutschland ist es viel ruhiger, mehr relaxed und auf jeden Fall freundlicher. Landschaftlich ist es ein Traum, vor allem für einen Hobbyfotografen wie mich.
Wenn ich hier morgens 10 Minuten über den Berg laufe und an unserem leeren Strand bin, denk ich mir schon: Das ist das Paradies. Unser Ort hat nur 750 Einwohner, aber ist von der Art her eine Stadt. Dennoch ist alles etwas ruhiger als in Auckland und vor allem als in Deutschland.

Auch das Klima ist toll: Nicht zu kalt und nicht zu warm. Meine Familie in Deutschland lacht immer über meinen Mann, der Sommer wie Winter mit kurzen Hosen aber Hoody oder langärmeligen Shirt rumläuft. Er meint, im Winter ist es warm genug und im Sommer will er sich keinen Sonnenbrand - trotz seiner braunen Haut - holen. Das ist übrigens sehr gefährlich hier. Neuseeland hat neben Australien die höchste Hautkrebsrate der Welt. Man kann sich hier in zehn Minuten verbrennen. Wenn hier jemand am Strand ein Sonnenbad nimmt, ist das in der Regel ein Tourist – kein Kiwi würde das tun.

Der Nachteil des ruhigen Lebens: Wir leben schon sehr weit weg von allen anderen, wobei das auch ein Vorteil sein kann. Das Leben an sich ist teurer, vor allem Lebensmittel. Viele Dinge, die man selbst in Australien, aber auf jeden Fall in Europa kaufen kann, gibt es hier nicht oder nur sehr teuer.

Große Unterschiede gibt es auch bei der sozialen Absicherung. Hier wird vom Gehalt nur die Steuer abgezogen. Eventuell auch der Kiwi Saver (eine Art private Zusatzrente) Betrag, wenn man da Mitglied ist. Ansonsten muss man sich selbst versichern. Es gibt hier zwar freie Krankenhausbhandlungen, aber ein Arztbesuch kann, je nach Region und ob man bei dem Doktor registriert ist, teuer sein. In Auckland habe ich $65 pro Besuch bezahlt, hier im Norden sind es nur $18 und einer anderen Region, wo ich zeitweise gewohnt habe, war es umsonst. Eine private Krankenversicherung lohnt sich vor allem, wenn es um Wartelisten oder schwere Krankheiten wie Krebs geht. Das kann man eben nicht voraussehen, also habe ich die selber abgeschlossen. An Rente gibt es von Staatswegen für jeden Bürger, ob arm oder Millionär, das Gleiche, aber man kann eine Zusatzrente abschließen (Kiwi Saver).

Eine verpflichtende Haftpflicht gibt es hier nicht, auch nicht fürs Auto. Das kann unter Umständen sehr schlimm sein, wenn jemand sein Auto nicht versichert hat, einen Unfall baut und dem Gegner dann nichts zahlen kann oder will.

Der Wohnmarkt ist ebenfalls regional sehr unterschiedlich. Wir haben hier gerade eine Immobilienkrise. Das ist zwar nichts Neues, aber ein sehr komplexes Thema. Es gibt zu viele Immigranten und die meisten lassen sich in Auckland nieder. Auckland hat nicht genug Wohnraum, sowohl zum Kaufen als auch zum Mieten. Das treibt Preise in die Höhe und wirkt sich auch auf das Umfeld aus: Ich wohne drei Stunden nördlich von Auckland in einer tollen Gegend (Bay of Islands) und seit einigen Monaten ist auch bei uns diese Krise angekommen. Leute, die in Auckland ihr Haus für sehr viel Geld verkaufen, haben genug um hier eines in bester Lage mit Meerblick zu kaufen und haben noch finanzielle Möglichkeiten, um es zu renovieren und in den meisten Fällen ziehen sie dann selber ein. Das heißt es gibt weniger freie Häuser, die vermietet werden oder bezahlbar sind. Aufgrund des schlechten Mieterschutzes (drei Monate normale Kündigungsfrist oder nur 42 Tage, wenn das Haus verkauft wurde oder der Vermieter selber einziehen will) verschärft sich der Wohnmarkt immer mehr.

Die Kultur wertschätzen

Die Zukunft sehe ich persönlich zwar recht positiv, aber das ist auch von Region zu Region unterschiedlich. Ohne die Maorikultur und das Revival dieser Kultur hätte ich gar kein Einkommen. Ich mache die Kostüme die hier vor allem bei Maori Gruppen für Wettkämpfe in Kapa Haka getragen werden. Durch diese Arbeit und mein Leben hier identifiziere ich mich auch mehr als Kiwi mit deutschen Wurzeln. Obwohl mein Mann schon ab und an fragt, ob ich nicht etwas weniger Deutsch sein könnte, wenn es um Sauberkeit und Organisation oder Pünktlichkeit geht.

Was es allerdings schon gibt, ist einen Unterschied zwischen Maori und Pazifik Islanders (Cook Inseln, Samoa, Fiji, Tahiti etc), die hier wohnen, und den Weißen - sowohl in der Armutsgrenze als auch bei der Gesundheitsversorgung und Kriminalitätsstatistik. Auch Rassismus ist leider an der Tagesordnung, der allerdings immer unter den Tisch gekehrt wird. An Nationalfeiertag ist es auf einmal toll, wenn man etwas Maori spricht. Sonst im Jahr haben es die Maori eher schwer.

Ob ich nach Deutschland zurückziehen würde, glaube ich nicht, außer ich müsste vielleicht temporär meine Eltern pflegen, aber eigentlich bin ich schon Kiwi – jedenfalls im Herzen.